Immersives Erlebnis und Ausstellung „SEIN und SCHEIN. Thomas Müntzer“
Kulturstiftung eröffnet auf Schloss Allstedt einen weiteren Teil der dezentralen Landesausstellung Sachsen-Anhalt „Gerechtigkeyt 1525“ in Anwesenheit des Ministerpräsidenten
Dr. Reiner Haseloff
13.07.2025 | Schloss Allstedt. Mit der neuen Ausstellung „SEIN und SCHEIN. Thomas Müntzer“ sind nach drei Jahren Schließzeit ausgewählte Bereiche der Kernburg von Schloss Allstedt wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Im Mittelpunkt der neuen Schau im Ostflügel des Schlosses steht Müntzers Wirken als Pfarrer und Reformator in Allstedt. Am historischen Ort der „Fürstenpredigt“ Thomas Müntzers in der Hofstube von Schloss Allstedt ist Raum für etwas ganz Neues: ein immersives Erlebnis rund um Müntzers Leben. Erzählt von seiner Ehefrau Ottilie von Gersen, lässt hier ab sofort eine bildgewaltige multimediale Inszenierung Besucherinnen und Besucher eintauchen in die Geschichte des unbequemen Allstedter Predigers.
Wer sich dem Schloss nähert, sieht schon von weitem den markanten Turm der Vorburg – und einen Kran. In den vergangenen drei Jahren, seit die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt die stark sanierungsbedürftige Anlage in Besitz genommen hat, wurden Mauerwerk und Dachbereiche gesichert, historische Bausubstanz dokumentiert, notwendigste Arbeiten für Brandschutz und Sicherheit durchgeführt, Museumsbestände gesichtet und erfasst – kurz gesagt: Das Schloss wurde soweit fit gemacht, sodass wieder Besucherverkehr stattfinden kann. Damit kann sich auch das Wahrzeichen der Stadt Allstedt sehen lassen und vor allem: sich am Gedenken an 500 Jahre Bauernkrieg und Thomas Müntzer gebührend beteiligen.


Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff betont: „Die Ausstellung ‚SEIN und SCHEIN‘ ist ein Teilprojekt der dezentralen Landesausstellung ‚Gerechtigkeyt 1525‘. Mit ihr erinnert das Land an die Bauernkriege vor 500 Jahren. ‚Gerechtigkeyt 1525‘ steckt ein breites und vielschichtiges Themenspektrum ab und wird der geschichtlichen wie der gegenwärtigen Bedeutung des Jubiläums auf höchst eindrucksvolle Weise gerecht. Mit dem Schloss Allstedt rückt abschließend ein exponierter und authentischer Erinnerungsort in den Fokus.“
Die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt hat die Verantwortung für das Baudenkmal und den Museumsbetrieb übernommen. Es war ein knappes Rennen gegen die Zeit, aber es ist geschafft: Die Ausstellung „SEIN und SCHEIN. Thomas Müntzer“ wird nun für die nächsten Jahre Schloss Allstedt und die Geschichte des Reformators Müntzer erlebbar machen. Dabei werden alle Register der modernen Ausstellungsgestaltung gezogen.
Dr. Christian Philipsen, Generaldirektor der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt: „Wir wollen auf Schloss Allstedt ein neuartiges Müntzer-Erlebnis bieten. Weit mehr als eine klassische Ausstellung. Ich freue mich sehr, dass wir mit dem Berliner Büro m box die notwendige Expertise gewinnen konnten, ein beeindruckendes immersives Erlebnis zu kreieren. Die Hofstube auf Schloss Allstedt, die zwar historischer Ort, jedoch nicht mehr original erhalten ist, bot sich für eine solche multimediale Präsentation geradezu an. Dort kann man nun mit allen Sinnen in die Geschichte eintauchen.“
Erwarten: die Burgküche
Die „Müntzer-Experience“ beginnt in der spätmittelalterlichen Burgküche mit ihrer imposanten Herdstelle und dem über 20 m hohen Kaminabzug. Der Bereich ist Aufenthalts- und Sammlungspunkt für die Ausstellungsbesucher. Hier stimmt eine Audioinstallation auf das immersive Erlebnis in der Hofstube ein.
Erleben: die Hofstube
Die Hofstube diente ursprünglich als Aufenthaltsraum für die Burgbewohner. Seit 1510 trennt eine steinerne Wand diesen Raum von der Burgküche ab. In der Hofstube hält Thomas Müntzer am 13. Juli 1524 vor Herzog Johann von Sachsen und dessen Sohn, dem Kurprinzen Johann Friedrich, seine „Fürstenpredigt“. Jetzt führt dort die neue multimediale Inszenierung durch das bewegte Leben Müntzers – erzählt aus der Perspektive seiner Ehefrau Ottilie von Gersen. In der knapp 10-minütigen bild- und tongewaltige Schau tauchen die Besucher ein in die Gedankenwelt eines Theologen, der in Allstedt den Höhepunkt seines reformatorischen Schaffens erreichte. Die Betrachter erleben einen Menschen, der getrieben war von der Vorstellung, das Ende der Welt stehe bevor. Er ist sich sicher: Die Erneuerung der Kirche kann nur durch die Errichtung einer wahren christlichen Gemeinde und die Vernichtung der Gottlosen erreicht werden. Man ist mittendrin, wenn die Allstedter unter dem Einfluss der antiklerikalen Predigten Müntzers im März 1524 die zum nahe gelegenen Kloster Naundorf gehörende Mallerbacher Kapelle zerstören – ein Vorbote der gewaltsamen Aufstände, die sich im Frühjahr 1525 auf die heute zu Sachsen-Anhalt und Thüringen gehörenden Gebiete ausweiten und in der Schlacht von Frankenhausen am 15. Mai 1525 ihren Höhepunkt erreichen. In dieser Schlacht, an der Müntzer als Feldprediger beteiligt ist, werden 6000 Männer von den schwer bewaffneten Landsknechten des Fürstenheeres blutig niedergeschlagen. Nach der Niederlage wird Müntzer von den Siegern gefangen genommen, verhört, gefoltert und am 27. Mai 1525 vor den Toren der Stadt Mühlhausen enthauptet.
Der gesamte Raum der Hofstube – Wände, Boden, Decken – wird genutzt für Projektionen. Die Betrachter sind Teil des Geschehens, werden mitgerissen und idealerweise berührt von den längst vergangenen Ereignissen. Die multimediale Präsentation mit ihrem ausgefeilten Sounddesign ermöglicht, eine intensive, auch emotionale Verbindung zu der dargestellten Geschichte aufzubauen. Sie erleichtert damit den Einstieg in eine heute fremd erscheinende Welt, die geprägt war von tiefer Frömmigkeit, vom Glauben an Gott und an die Erlösung im Jenseits.
Erinnern: die Ausstellung
Ein differenziertes Bild von Thomas Müntzer auf dem aktuellen Stand der Müntzer-Forschung zu vermitteln – das ist das erklärte Ziel der Ausstellung in den beiden Räumen im Ostflügel der Kernburg. Dabei muss niemand einem festgelegten Rundgang folgen: Vier eigenständige „Themeninseln“ regen dazu an, sich noch vertiefend mit Müntzer und seiner Zeit zu beschäftigen.
Drei Themeninseln beschreiben die Stationen in Müntzers Leben auf der Grundlage der historischen Quellen und anhand der wenigen original erhaltenen Objekte. So ist zum Beispiel ein Grabsteinfragment aus dem 17. Jahrhundert mit der Darstellung der Allstedter St. Johanniskirche zu sehen. In ihr wirkt Thomas Müntzer in seinem Selbstverständnis als „Knecht Gottes“ ab Ende März 1523 als Prediger und Gottesdienstreformer. Müntzers Weg ist geprägt von der Reformation, die Martin Luther im Jahr 1517 mit seinen 95 Thesen ausgelöst hat. Er ist überzeugt, dass nach dem Verfall der Kirche eine erneuerte Christenheit beginnt. Auf einer Reise nach Böhmen 1521 verfasst er seinen „Prager Sendbrief“, der als Faksimile in der Ausstellung präsentiert wird. Darin fasst Müntzer seine Kritik an der Kirche zusammen: „Pfaffen und Affen“ leiten die Papstkirche. Sie vermitteln den Menschen das Wort Gottes falsch. Erleuchtung können die Auserwählten unmittelbar von Gott erfahren. Die biblische Botschaft soll für alle verstehbar und nachvollziehbar sein. Deshalb lässt Müntzer 1524 das „Deutsche Kirchenamt“ drucken – eine vollständig in deutscher Sprache verfasste Gottesdienstordnung mit Texten und Liedern.
Das Verhältnis zwischen Müntzer und Luther verschlechtert sich allerdings zunehmend. In Druckschriften beschimpfen und beleidigen sich die beiden Reformatoren in derber Sprache. In der Ausstellung ist dies in einer dialogischen Medienstation inszeniert. In der Nacht zum 8. August 1524 flieht Müntzer, von Luther als „Satan von Allstedt“ tituliert, aus Allstedt. Mit seiner Beteiligung an der Schlacht von Frankenhausen und seiner Verhaftung endet die Geschichte. Sein unter Folter abgepresstes Geständnis erscheint als „Bekenntnis Thomas Müntzers“ im Druck und findet weite Verbreitung. Es verurteilt Müntzer als Anstifter und Anführer des Bauernkrieges – ein falsches Urteil, das bis heute fortlebt.
Scheinriese – Thomas Müntzer in der Erinnerungskultur
Die vierte Themeninsel ist der Nachwirkung Müntzers gewidmet. Der zu seinen Lebzeiten weithin unbekannte Müntzer wird vor allem durch die Auseinandersetzungen mit Luther größer gemacht, als er tatsächlich war, er wird zum „Scheinriesen“. Seiner Leistungen als Reformator und Erneuerer des Gottesdienstes weitgehend entkleidet, stilisiert vor allem die sozialistische Arbeiterbewegung Müntzer zu einem revolutionären Helden. In der DDR steigt Müntzer zu einer Leitfigur der deutschen Geschichte auf. In der Ausstellung zeigen Filmausschnitte, Kunstwerke, Plakate und Alltagsgegenstände, wie sehr Müntzer im Leben der Menschen präsent war. Die in Allstedt im September 1953 erstmals veranstalteten „Thomas-Müntzer-Tage“ legen das Fundament für eine städtische Erinnerungskultur, die 1975 mit der Einrichtung einer Thomas-Müntzer-Gedenkstätte im Schloss Allstedt nachhaltige Wirkung entfaltet. Seit dem Ende der DDR verblasst dieses Müntzer-Bild langsam.
Ein Schloss mit Geschichte
Mit der Wiedereröffnung von Schloss Allstedt erschließt sich ein Baukomplex mit einer überaus reichen Geschichte, die weit über die Geschichte Thomas Müntzers hinausgeht. Im 9. Jahrhundert erstmals im Hersfelder Zehntregister als „Altstediburg“ erwähnt, befindet sich hier im 10. und 11. Jahrhundert eine – heute nicht mehr erhaltene – Kaiserpfalz. Im 13./14. Jahrhundert entsteht eine wehrhafte Burg, die Anfang des 16. Jahrhunderts von Kurfürst Friedrich dem Weisen in ein Schloss umgestaltetet wird. Die wechselvolle Bau- und Nutzungsgeschichte der Schlossanlage bis zur Gegenwart wird auf Informationstafeln im Innenhof erläutert.